Grünes für die Bürgerschaft

Pflücken erlaubt statt „Betreten verboten“: Die Stadt Andernach hat als erste Kommune hierzulande das Projekt „Essbare Stadt“ gestartet. Das war 2010, im „Jahr der Biodiversität“. Mittlerweile gibt es sehr gute Erfahrungen mit diesem dauerhaften Angebot – und auch einige Nachahmer.

Unter anderem mit der Anpflanzung von 101 Tomatensorten fing es an; inzwischen bieten die Anbauflächen vor allem entlang der Stadtmauern eine breite Gemüse-Vielfalt, außerdem sind Obstbäume hinzugekommen, Beerensträucher und Kräuter, auch Schulgärten, Hochbeete in der Innenstadt und ein mobiler Schulwagenanhänger, berichtet Projektleiterin Lara Lindermann.

Gepflegt werden die Anlagen von einem externen Dienstleister, der „Perspektive gGmbH“, die Langzeitarbeitslosen unter fachkundiger Anleitung eine erfüllende Tätigkeit bieten will. Das Ernten überlässt die Kommune ihrer Bürgerschaft. Und die ist stolz auf das Projekt, weiß die städtische Klimaschutzmanagerin Mona Maar, die mit ihrem Fachwissen rund um Klimaschutz und Klimawandelanpassung das Projekt ebenfalls unterstützt: „Die Essbare Stadt wird sehr gut angenommen. Anfängliche Skepsis, etwa mit Blick auf möglichen Vandalismus, hat sich nicht erfüllt – die Leute schätzen das und gehen fast ausnahmslos pfleglich mit den Anpflanzungen um.“

Das Konzept hat Preise gewonnen und viel Medienaufmerksamkeit erfahren. Und die lobende Berichterstattung über den besonderen Umgang mit Grünflächen zieht Kreise: Klimaschutzmanagerin Maar weiß von Gästen aus dem Norden der Republik, die eigens wegen der „Essbaren Stadt“ nach Andernach gereist sind.

Bienen, Hühner und Schafe

Das Projekt „Essbare Stadt“ hat auch wichtige positive Auswirkungen im Bereich der Klimawandelanpassung. Die Innenstädte erhitzen sich immer stärker. Angepasste Grünflächen, die über bloßen Zierrasen hinausgehen,  schaffen deutliche Abkühlungseffekte und steigern so die Aufenthaltsqualität an heißen Tagen zusätzlich. Zudem fördert dies die Biodiversität und schafft Nist- und Futterangebote für Insekten und Kleintiere.

Mehr urbane Biodiversität: Hühner gehören dazu, Bienen und bisweilen auch Schafe, die zeitweise zum Mähen von Wiesen ins Stadtzentrum geholt werden. Zugleich  fördert das Projekt den Anbau von regionalen und seltenen Sorten, stärkt so die Identifikation mit der Heimat.

Platz für Gemüse und Co. finde sich immer. Selbst temporäre Baulücken können zur Anpflanzung genutzt werden. Doch es geht noch weiter: Die „Essbare Stadt” ist nur Teil einer modularen und nachhaltigen Grünraumplanung. Mit der Umstellung von Wechselbeeten auf nachhaltige und pflegeleichte Staudenbeete verbindet die Stadt ökologische und ökonomische Vorteile.

Sachkosten, Planung, Organisation

Das Projekt ist der Gemeinde einiges wert. „Die Stadt trägt alles“, erklärt Projektleiterin Lara Lindermann, die gesamten Kosten für Pflege und Unterhalt, die Anschaffung von Pflanzen und Arbeiten, die mit Erweiterungen oder Neuanlagen verbunden sind. Dieser Aufwand variiert logischerweise mit Größe und Anzahl der Flächen und das Budget ist oft knapper bemessen als die Liste der Wünsche und Ideen. Auf kommunaler Seite fällt neben diesen Sach- und Dienstleisterkosten vor allem organisatorischer Aufwand an. Die Stadtverwaltung hat eine Steuerungsgruppe eingerichtet; denn jährlich wechselnde Themenschwerpunkte müssen geplant werden, ebenso diverse Aktionen, etwa erklärende Führungen.

Grüne Tipis der Stadtmauer

Die jährlichen Themenwechsel bringen zum Teil dauerhafte Belebung ist Ortsbild. Als das Motto „Trinkbare Stadt“ hieß, wurden ein Weinberg und Hopfenkulturen angelegt. Die Hopfen-„Tipis“ stehen bis heute im Stadtgraben (Wassergraben) und entlang der Stadtmauer neben dem Stadtteich.

Das damit gebraute Bier bleibt wohl ein einmaliger Genuss. Das Motto in diesem Jahr lautet „Hülsenfrüchtler“. Zu dieser Pflanzenfamilie, auch Leguminosen genannt, zählen etwa Zuckererbsen, Markerbsen, Busch-, Stangen- und Sojabohnen, Kichererbsen, Linsen, Erdnüsse, Luzerne und Lupinen – Früchte, die dieses Jahr auch in der Essbaren Stadt wachsen.

Lara Lindermann, die seit Anfang 2024 die Sachgebietsleitung für den Bereich Umwelt und Nachhaltigkeit neu übernommen hat, betont die Bedeutung des Mottos: „Indem wir Hülsenfrüchtler anbauen, fördern wir nicht nur die Nachhaltigkeit und Biodiversität unserer Stadt, sondern tragen auch dazu bei, dass unsere Bürgerinnen und Bürger sich diesem wichtigen Bestandteil in der Ernährung bewusst werden."

Weitere Informationen finden sich auf der Homepage der Stadt Andernach. Nachfragen beantwortet das Sachgebiet Umwelt & Nachhaltigkeit der Stadtverwaltung Andernach, Mail: Naturschutz@andernach.de.

Nachahmer an Rhein und Mosel

Das Andernacher Beispiel macht Schule. Seit dem Frühjahr 2016 stellt die Stadt Bingen ausgewählte öffentliche Grünflächen als Aktionsraum zur Verfügung. „Ob Möhren, Bohnen, Beeren oder Küchenkräuter, alles darf gepflückt und probiert werden, sobald das Ampelsystem die richtige Pflückzeit anzeigt. Zufrieden erntet, wer auch seinen Beitrag geleistet hat“, heißt es in einer Broschüre der Stadt.

Denn anders als bei den Andernacher Pionieren sind in Bingen die Bürgerinnen und Bürger zur mithelfenden Pflege aufgerufen, zum Gießen und Unkrautzupfen. Das soll auch die Wertschätzung der Natur- und Pflanzenwelt und die Würdigung von Lebensmitteln steigern, zudem den Spaß am Gärtnern in der Gemeinschaft.

Die Stadt Trier hatte bereits 2014 wurde den „Aktionsplan Essbare Stadt“ verabschiedet. Seither wurden gemeinsam mit dem NABU, Transition, StadtGrün und dem Bürgerservice Gärten angelegt, Brachen in Grünflächen umwandelt und überall in der Stadt Hochbeete als Minigärten aufgestellt.

Trier sollte sich nach und nach zur Gartenoase verwandeln. In einem Mitmach-Appell schreibt die „Lokale Agenda 21“: „Gärten verbessern die Luft in Trier und bringen Menschen zusammen. In den Gärten der Essbaren Stadt dürfen alle mit anpacken und ernten – denn die Stadt gehört uns allen!“

Foto: © Stadt Andernach, Christoph Maurer