Europäischer Gerichtshof stellt Pflichtmitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft in Frage


Mit rechtskräftigem Urteil vom 26.06.2012 hat der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass
die gesetzliche Verpflichtung, die Jagd auf eigenen Grundstücksflächen zu dulden, eine Verletzung von Artikel 1 Protokollnummer 1 (Schutz des Eigentums) der Europäischen
Menschenrechtskonvention darstellt. Grundstücksbesitzern, welche die Jagd ablehnen,
werde eine unverhältnismäßige Belastung auferlegt. Die Ablehnung der Jagd aus Gewissensgründen, also tiefen persönlichen Überzeugungen, könne nicht durch eine
Entschädigungszahlung (Reinertragsanspruch) aufgewogen werden.


Der Europäische Gerichtshof bezieht sich ausdrücklich auf seine Entscheidungen aus den Jahren 1999 und 2007, nach denen die Pflichtmitgliedschaft in einer Jagdgenossenschaft in Frankreich und in Luxemburg gegen die Konvention verstößt. Er sieht diese Urteile als auf das deutsche Jagdrecht übertragbar an.


Durchgängiger Tenor der Rechtsprechung war bislang, dass die Pflichtmitgliedschaft
kleinerer Grundstückseigentümer in der Jagdgenossenschaft nicht gegen höherrangiges
Recht verstößt. In der Abwägung seien die Ziele des Gemeinwohls höher zu gewichten als
die Beeinträchtigung des einzelnen Eigentümers, die Jagd auf seinem Grund und Boden zu
dulden. Die flächendeckende Bejagung sei durch das öffentliche Interesse gerechtfertigt und berücksichtigt auch den Schutz der Rechtsgüter aller anderen Jagdgenossen. Sie diene der
Entwicklung eines artenreichen und gesunden Wildbestands, dem Schutz vor Wildschäden
sowie der Wahrung von Naturschutz und Landschaftspflege. Ein angemessener Ausgleich
für die Einschränkung des Eigentums sei in den Mitwirkungsrechten in der
Jagdgenossenschaft sowie im Reinertragsanspruch zu sehen.


In Rheinland-Pfalz ergibt sich die Pflichtmitgliedschaft der Eigentümer bejagbarer
Grundstücke in der Jagdgenossenschaft aus § 11 Abs. 1 Satz 1 LJG. Kraft Gesetzes, das
heißt unabhängig vom individuellen Willen, gehören die betroffenen Grundstückseigentümer
der Jagdgenossenschaft an. Eines formalen Eintrittsakts bedarf es nicht, ein Austritt ist nicht
möglich. Die Pflichtmitgliedschaft entzieht dem einzelnen Grundstückseigentümer die
Entscheidung, ob auf seinem Grund und Boden die Jagd ausgeübt werden darf oder nicht.


Aus Sicht des Gemeinde- und Städtebundes Rheinland-Pfalz ist die Feststellung einer
Konventionsverletzung durch den Europäischen Gerichtshof sehr zu bedauern. Eine
flächendeckende Bejagung wäre nicht mehr möglich, wenn einzelne Grundstückseigentümer ihr Ausscheiden aus der Jagdgenossenschaft erklären könnten. Dies hätte gravierende Auswirkungen für das System der Jagdgenossenschaften in Deutschland.


Bundes- und Landesgesetzgeber sind nunmehr aufgefordert, eine Regelung zu schaffen,
welche die Konventionsverletzung beseitigt. Wie künftige gesetzliche Regelungen aussehen
können oder müssen, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen. Der
Gemeinde- und Städtebund wird sich im Interesse der rheinland-pfälzischen Gemeinden und Jagdgenossenschaften in die Abstimmungsgespräche einbringen.


Als Anlage ist zu Ihrer Information die Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofs vom
26.06.2012 beigefügt.


>>> GStB-Schreiben vom 28.06.2012

>>> Pressemitteilung des EuGH vom 26.06.2012