Inhaltlich geht es vor allem um die verfassungsrechtlichen Grenzen von Fusionen gegen den erklärten Willen einzelner Gemeinden sowie um prozessrechtliche Fragestellungen. Nicht Thema des Gutachtens sind die konkreten Fusionsplanungen für einzelne Gemeinden.
Die Gutachter, Universitäts-Professor Dr. Johannes Dietlein (Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) und Professor Dr. Dr. Markus Thiel (Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen), kommen in ihrer Bewertung zu folgenden Zwischenergebnissen:
- Die politische Grundsatzentscheidung zugunsten einer Reform der Landesverwaltung ist als solche nicht zu beanstanden. Hierzu bedarf es allerdings eines ganzheitlichen Ansatzes, der bei der Frage der Verwaltungsaufgaben beginnt (Aufgabenkritik) und sodann alle Ebenen des Aufgabenvollzugs in den Blick nimmt, insbesondere auch die mittlere staatliche Ebene (insbes. Landesämter) und die untere staatliche Verwaltungsebene (Kreise).
- Allein die Zusammenlegung von Gemeinden / Verbandsgemeinden ist kein brauchbares Konzept für eine Reform der Landesverwaltung. Im Gegenteil löst das isolierte Vorgehen auf der gemeindlichen Ebene die Kontextualität der oben genannten Reformthemen auf.
- Die territoriale Vergrößerung von Gemeinden ist kein Allheilmittel zur Modernisierung von Verwaltung und kann zugleich erhebliche „Nebenwirkungen“ auslösen: Die These, dass größere Gemeinden automatisch effizienter arbeiteten als kleinere Gemeinden, ist nicht belegt. Die Zahl der Akten wird jedenfalls nicht verringert, wenn vor der Reform zweimal zweihundert Fälle und danach einmal vierhundert Fälle zu bearbeiten sind. Die Vergrößerung von Gemeinden enthält immer auch einen Infrastrukturabbau, der gerade im ländlichen Bereich geeignet ist, die dortige demographische Schieflage zu verschärfen. - 2 - Schließlich verdünnt die territoriale Erweiterung von Gemeinden die Möglichkeiten bürgerschaftlicher Partizipation und schwächt damit die Idee der kommunalen (ehrenamtlichen) Selbstverwaltung.
- Rechtlich und politisch verfehlt ist die Bindung der Gemeindereformen an die veralteten Kreisgrenzen. Es macht keinen Sinn, die Kreisgrenzen für reformbedürftig zu erklären, eine vorgelagerte Gemeindereform aber an eben diese alten Kreisgrenzen zu binden. Hier fehlt die notwendige Zukunftsperspektive. Zugleich hat die fehlerhafte Weichenstellung die Suche nach freiwilligen Lösungen unnötig erschwert.
- Rechtlich und politisch verfehlt ist ferner die nunmehr angekündigte zeitliche Staffelung der gemeindlichen Neugliederungen. Sie steht in einem unüberbrückbaren Widerspruch zu dem gesetzlichen Ziel, die Strukturen landesweit zu reformieren. Man kann größere Räume nicht neu gliedern, indem man stückweise von Ort zu Ort geht. Hier bedarf es eines geschlossenen Konzeptes. Das gestückelte Vorgehen stößt zu Recht in der Bevölkerung auf Kritik.
- Die Fusionsvorschläge im Gutachten Junkernheinrich u. a. zielen nach der erklärten Zielsetzung der Gutachter auf eine rein ökonomische Bewertung möglicher Zusammenschlüsse; sie können und wollen daher eine eigene gesetzgeberische Abwägung der entscheidungsrelevanten Parameter nicht ersetzen.
- Indem das Gutachten mehr als nur ausnahmsweise zu kreisgebietsüberschreitenden Zusammenlegungen rät, belegt es inzident die Untauglichkeit des gegenläufigen Reformansatzes des KomVwRGrG.
- Rechtliche Fragen werfen die Vorschläge des Gutachtens Junkernheinrich u. a. dadurch auf, dass dort gesetzliche Zielvorgaben wie ein „Nivellierungsgebot“ oder eine „passive Fusionspflicht“ unterstellt oder jedenfalls den Gebietsoptimierungsrechnungen gewissermaßen „unterlegt“ werden, die sich in dieser Form im KomVwRGrG nicht verifizieren lassen.
- Zudem erweist sich die Auslegung der Ausnahmetatbestände des KomVwRGrG im Gutachten Junkernheinrich tendenziell als zu restriktiv. Vor allem angesichts der Tatsache, dass es sich bei den explizit genannten „besonderen Gründen“ ausweislich der gesetzlichen Regelung lediglich um Regelbeispiele handelt, dürften mehr Verbandsgemeinden und verbandsfreie Gemeinden solche Gründe für sich in Anspruch nehmen können, als dies im Gutachten angenommen wird.
- Nachdem sich das Verfahren der Neugliederung nach den neuesten politischen Planungen nunmehr statt bis 2014 nunmehr ohnehin bis 2019 erstrecken soll, erschiene es vorzugswürdig, anstelle eines gestückelten Vorgehens nochmals über die grundsätzlichen Reformparameter nachzudenken und die sich neu ergebenden zeitlichen Spielräume für freiwillige Lösungen im Rahmen eines nachgebesserten Reformrahmens zu nutzen.
- Gemeindliche Gebietsreformen brauchen die Akzeptanz der Bevölkerung. Diese Akzeptanz kann nur durch Versachlichung und Transparenz der Entscheidungsgrundlagen sowie die ernsthafte Berücksichtigung des Willens der Bevölkerung herbeigeführt werden.
Pressemitteilung des Gemeinde- und Städtebundes RP vom 17. Dezember 2012