Noch mehr direkte Demokratie


Wenn man aber diesen Wunsch der Bürgerinnen und Bürger nach direktdemogratischer Beteiligung erfüllt, geschieht tatsächlich etwas ganz anderes. Immer weniger Bürgerinnen und Bürger machen von diesen Möglichkeiten auch tatsächlich Gebrauch. Bei den Direktwahlen von Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeistern ist eine Wahlbeteiligung unter 30% nicht selten. Auch die Teilnahme an Bürger- oder Volksentscheiden ist von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, ebenfalls absolut gering.

Untersuchungen des FORSA Instituts zeigen, dass das Panaschieren und Kumulieren nicht unbedingt zu einer Erhöhung der Wahlbeteiligung führt. Mit zunehmender Größe der Gemeinde oder Stadt werde weniger von den Gestaltungsmöglichkeiten bei der Stimmabgabe Gebrauch gemacht, im statistischen Mittel nehme die Wahlbeteiligung sogar ab. Denn bei einer Riesenanzahl von Listen und einer großen Anzahl zur Wahl stehender Bewerber um ein Mandat kommt es immer mehr dazu, dass die Wählerinnen und Wähler dieser Herausforderung der (Aus)Wahlmöglichkeit mit Nichtwählen oder mit der Abgabe von ungültigen Stimmen begegnen. FORSA hat zu Beginn des Jahres 2017 eine Umfrage durchgeführt. Das Umfrageergebnis zeigt, dass zwar 51 % der Befragten deutlich gemacht haben, dass sie gerne mehr Einfluss auf die Entscheidungen in ihrer Stadt oder Gemeinde hätten, aber nur 11 % der Wählerinnen und Wähler wünschten sich mehr Bürger- oder Volksentscheide. Und der Wunsch der Bürgerinnen und Bürger geht nach dieser Umfrage nicht dahin, mehr Einfluss auf die Entscheidungen zu gewinnen, sondern eher in Richtung einer generellen Erwartung auf mehr Informationen und mehr Möglichkeiten von aus deren Sicht vernünftig durchgeführten Anhörungen und Meinungsbefragungen vor Ort, insbesondere bei Planungsmaßnahmen, von denen viele Bürgerinnen und Bürger betroffen sind. Die Bürgerinnen und Bürger wünschen sich nach dem Ergebnis dieser Umfrage auch nicht unbedingt, ihre Bürgermeisterin/ihren Bürgermeister oder ihre Oberbürgermeisterin/ihren Oberbürgermeister selbst zu wählen, sondern sind eher der Auffassung, dass es wichtiger ist, dass die Gewählten ihre Arbeit gut und vernünftig gestalten.

Schaut man sich einmal an, in welchen Größenordnungen der Städte und Gemeinden die Bürgerinnen oder Bürger der Auffassung sind, dass sie einen relativ hohen Grad an Einflussmöglichkeiten auf die Politik haben, so wird Folgendes schnell deutlich: Je kleiner die Gemeinde oder Stadt, umso größer ist das Gefühl der Menschen, dass ihre Einflussmöglichkeiten relativ stark sind. Bei Ortsgrößen über 500.000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist diese Einschätzung nur noch bei 31 % zu verzeichnen. Nimmt man die Parteizugehörigkeit der Bürgerinnen und Bürger in den Blick, so wird schnell deutlich, dass die Anhänger der Linken und der AfD diejenigen sind, die mit 32 % und 15 % die geringsten Einflussmöglichkeiten sehen, während die Anhängerinnen und Anhänger der sogenannten etablierten Parteien mit hohen Werten von 45 % bis 47 % sehr wohl Gestaltungsmöglichkeiten in der Politik vor Ort sehen.

Auf die Frage, was Bürgerinnen und Bürger tun, wenn ihnen irgendetwas in ihrer Gemeinde oder Stadt nicht passt, antworten viele, dass sie sich direkt an ihre/n kommunalen Mandatsträger/in oder an die lokale Verwaltung wenden.

Ich ziehe aus dem Ergebnis der Umfrage den Schluss, dass noch mehr direktdemokratische Beteiligungsmöglichkeiten nicht geschaffen werden müssen. Wichtig ist, dass vor Ort darüber nachgedacht werden sollte, wie kommunale Politik, insbesondere für die Jüngeren, attraktiv gemacht werden kann. Wir brauchen keine weitere Optimierung plebiszitärer Elemente, sondern eine Verbesserung der Kontakte auf lokaler Ebene zu den Gemeindevertretern/innen und der Verwaltung. Wir benötigen dazu bürgerfreundliche Nutzungsangebote auch in den neuen Medien. Und wichtig scheint den Bürgerinnen und Bürgern auch, dass im Rathaus kein ideologischer Zank und Streit in den Vordergrund tritt, sondern dass, wie gerade in den kleineren Gemeinden oft vorgelebt, die gewählten Vertreterinnen und Vertreter sich so verhalten, dass sie einen Interessensausgleich zwischen den auseinanderstrebenden Wünschen der verschiedenen Vorstellungen zur Lösung von Problemen vor Ort vornehmen. Um dies zu erreichen, muss in den Parteien und Wählergruppen auch darüber nachgedacht werden, wie das personelle Angebot vor Ort wieder für die Wählerinnen und Wähler attraktiver gemacht werden kann. Auch Quereinsteiger/innen muss der Zugang zur Politik und zu öffentlichen Ämtern unabhängig und der Zugang zu den Parteien und Wählergruppen schneller möglich gemacht werden. Dies könnte die Chance auf einen Interessensausgleich als wesentliches kommunales Politikelement verbessern und den Menschen deutlich machen, dass wir keine lautstark sich artikulierenden Minoritäten mit Partikularinteressen, sondern vernünftige und gestaltbare Lösungsmöglichkeiten als Grundelement politischer Gestaltung auf der kommunalen Ebene benötigen.


GStB-Kommentar aus Gemeinde und Stadt 03/2017


Winfried Manns
GeschäftsführendesVorstandsmitglied des Gemeinde- und Städtebundes