Unterbringung von Flüchtlingen wird zur Mammutaufgabe


Vor Kurzem hat es zum allerersten Mal seit langer Zeit wieder konsequente Kontrollen an den deutschen Grenzen zu Österreich gegeben, und auch der Zugverkehr ist für mehr als 12 Stunden eingestellt worden. Ein deutliches Zeichen dafür, dass auch wir in Deutschland einmal eine „Verschnaufpause“ brauchen, wenngleich das die Probleme nicht lösen wird. Die Mitarbeiter in den Erstaufnahmeeinrichtungen, die ehrenamtlichen Helfer, die Bundespolizei, die Betreuer und Mitarbeiter in den Kommunen arbeiten seit Monaten am Rande ihrer Belastungsgrenze. Neben den unstreitig erforderlichen schnellen Hilfsmaßnahmen ist meines Erachtens ein mittel- und langfristiges Konzept dringend erforderlich. Hierzu gehören Überlegungen, wo und wie wir für die Zukunft überhaupt Chancen haben, dem jetzt zu verzeichnenden Ansturm und den Menschen, die in großer Not und Verzweiflung zu uns kommen, gerecht zu werden. Dies gilt insbesondere für die Unterbringung nicht nur in den Erstaufnahmeeinrichtungen, sondern gerade in den Kommunen.

Hier tut sich eine besondere Schere auf. Der jetzige einwohnerbezogene Verteilungsschlüssel trifft die größeren Städte und ihr Umland in besonderer Weise. Bereits vor den stark angestiegenen Flüchtlingszahlen war bezahlbarer Wohnraum ein knappes Gut. Auch um sozialen Sprengstoff zu vermeiden, sollte daher eine andere Verteilung nicht per se ausgeschlossen werden. Das kann nicht einfach so umgesetzt werden, indem schlicht Verteilungsschlüssel verändert werden. Erforderlich ist, dass die Personen integriert werden können und auch Arbeit finden. Wenn in ein Dorf mit 300 Einwohnern über 100 Flüchtlinge kämen, würde das die Integrationskraft überfordern. Es ist dringend notwendig, dies mit anderen Fragen wie beispielsweise den dadurch veränderten Kosten auf der kommunalen Ebene zu verknüpfen. So kann außerhalb der großen Ballungszentren der Weg zum Amt nicht mal eben mit dem Fahrrad bewältigt werden und stellt damit einen weiteren Kostenblock für die betroffenen Gemeinden dar, die ohnehin mit einer nicht ausreichenden Kostenerstattung durch das Land zu kämpfen haben. Für diese Aspekte müssen entweder Lösungen durch Bund und Land oder bilateral zwischen aufnehmender Gemeinde und abgebender Stadt gefunden werden.

Die Unterbringung der Asylbewerber und Flüchtlinge bleibt in den nächsten Monaten die zentrale Aufgabe. Ob es gelingt, wie jetzt vorgeschlagen die Verweildauer in den Erstaufnahmeeinrichtungen von drei Monaten auf sechs Monate zu erweitern, wage ich zu bezweifeln. Dann müsste nämlich bei weiter steigenden Zahlen an Flüchtlingen die Zahl der Unterbringungsmöglichkeiten in den Erstaufnahmeeinrichtungen ganz wesentlich erweitert werden. Derzeit leben aber insgesamt 28.000 Flüchtlinge der Erstaufnahmeeinrichtungen bundesweit in Zelten,  2.800 in Rheinland-Pfalz. Eine zeitnahe Unterbringung in Containern ist nicht möglich. Waren bislang die Preise auf dem Containermarkt „nur“ in beeindruckende Höhe gestiegen, gibt es nunmehr Lieferengpässe. Der Markt scheint nahezu leergefegt. Deswegen erarbeitet die Landesregierung derzeit mit der Bau- und Holzwirtschaft und unter Einbeziehung der Kommunalen Spitzenverbände Möglichkeiten, wie in den Erstaufnahmeeinrichtungen durch Holz- und sonstige Modulbauten die Menschen für den in sechs Wochen spätestens eintreffenden Winter ein sicheres Dach über dem Kopf haben werden. Lösungen für die Kommunen sind in einem weiteren Schritt vorgesehen.

Wenn man aber nachfragt und erfährt, dass die Erfassung der Flüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen bis zu sechs Wochen dauert und eine Entscheidung über ein Bleiberecht für Mai / Juni nächsten Jahres angekündigt worden ist, kann man sich vorstellen, dass bei weiter anwachsenden Flüchtlingszahlen die Kommunen sich auch weiterhin auf eine frühzeitige und kurzfristige Weiterverteilung aus den Erstaufnahmen auf unsere Städte und Gemeinden einstellen müssen. Die schon jetzt dramatische Situation vor Ort wird sich also weiter verschärfen.

Auch in den ländlichen Räumen wird Wohnraum knapp. Hinzu kommt, dass viele der anerkannten Flüchtlinge, die bereits in unseren Kommunen leben, durch den Trägerwechsel zu den Jobcentern keinesfalls auf dem freien Markt Wohnungen finden. Viele Vermieter haben bisher einer Vermietung nur unter der Voraussetzung zugestimmt, dass die Kommunen mit in den Mietvertrag eintreten. Sind die Flüchtlinge aber anerkannt, werden sie über die Jobcenter mit einem neuen Träger zu solchen Personen, die selbst auf dem Wohnungsmarkt für ihre Unterkunft sorgen müssen. Unter diesen Voraussetzungen sind jedoch viele Vermieter nicht bereit, Wohnraum für sie zur Verfügung zu stellen. Deswegen lebt in vielen Kommunen der größte Teil der anerkannten Flüchtlinge weiterhin in kommunal angemieteten Wohnungen und erschwert auf diese Art und Weise hier eine weitere Unterbringung von Neuankömmlingen.

Aus meiner Sicht gibt es ganz grundsätzlich zwei Möglichkeiten, vor dem herannahenden Winter hier wenigstens zum Teil Abhilfe zu schaffen:

Wir müssen auf der einen Seite die Chance erhalten, in unseren Ortsgemeinden leerstehende Häuser aufzukaufen. Das Potenzial hierfür ist vorhanden. Da aber viele unserer Gemeinden keinen ausgeglichenen Haushalt haben, müsste für den Ankauf die Kommunalaufsicht die hierfür notwendige Haushaltsgenehmigung erteilen. Dies würde sicherlich dadurch erleichtert, wenn man die Mittel der Städtebauförderung seitens des Bundes, die derzeit 700  Millionen Euro jährlich betragen, deutlich aufstockt. Gleichzeitig sollten der Bund und die Länder ein Förderprogramm für den Ankauf von Häusern in den Kommunen auflegen. Dies hätte den Vorteil, dass einerseits die Städtebauförderungsmittel nicht nur alleine für den Neubau in größere zentrale Orte fließen und andererseits auch eine Entzerrung der Unterbringung zwischen Stadt und Land insbesondere durch die Ankaufhilfen im ländlichen Bereich erzielt werden könnten.

Der Gemeinde- und Städtebund in Rheinland-Pfalz möchte aber noch einen weiteren Weg gehen: Wir haben ein im Holzbau versiertes Architekturbüro gebeten, uns ein Modulhaus zu entwickeln, dessen Planung wir gerne mit einer Typengenehmigung versehen wollen. Diese Planung wollen wir dann den Kommunen zur Verfügung stellen. Gleichzeitig unterstützen wir das Vorhaben der Landesregierung, auf Grundlage der für die Erstaufnahmeeinrichtungen geschaffenen Holzbaumodule gewonnenen Erfahrungen ein Angebot für die Kommunen in Form eine „Kommunalmoduls“ zu schaffen.

Um diese Überlegungen herum haben sowohl der Deutsche Städte- und Gemeindebund als auch der Gemeinde- und Städtebund Rheinland-Pfalz viele Vorschläge zur Erleichterung im Bereich der Baunutzungsverordnung, des Planungsrechts und der Landesbauvorschriften gemacht. Außerdem wäre es gut, wenn es uns gelänge, in diesem Zusammenhang auch Erleichterungen des Zugriffs auf vorhandene Gebäude, die baufällig oder in der Nutzung wirtschaftlich unzumutbar sind, zu erhalten.

Die Situation erfordert flexible und auch unkonventionelle Lösungen: Im Interesse der Menschen, die in Not und Verzweiflung zu uns kommen, und im Interesse der Verantwortlichen vor Ort, die sich von Bund und Land mit dieser großen Herausforderung allein gelassen fühlen.


GStB-Kommentar aus Gemeinde und Stadt 09/2015

Winfried Manns
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Gemeinde- und Städtebundes