Bezeichnenderweise konnten sich die kommunalen Spitzenverbände auf zwei wesentliche Punkte bei der Anhörung im Innen- und Rechtsausschuss des Landtages beschränken: Eine eindeutige, umfassende Beschreibung von Zielabweichungsverfahren wurde angeregt. Darüber hinaus soll sich die Stellungnahme von Landesplanungsbehörden nach unserer Auffassung auf eindeutig landesplanerische Gesichtspunkte beschränken.
Allein der Grundtenor dieser beiden Punkte macht das gelegentlich immer wieder auftretende Unbehagen im kommunalen Bereich über Landes- und Regionalplanung und ihre alltäglichen Auswirkungen deutlich. Diese Vorbehalte verstärken sich noch, wenn man hört, dass es derzeit Überlegungen gibt, das Landesentwicklungsprogramm (LEP III) aus dem Jahre 1995 zu einem LEP IV fortzuschreiben.
Ein gewisses Unwohlsein kommt nicht zuletzt aus den Erfahrungen der Vergangenheit: Landes- und Regionalplanung soll fördern und entwickeln helfen, soll Rahmen und Leitlinien beschreiben und sein. Statt dessen erlebte die kommunale Praxis Landes- und Regionalplanung eher als behindernd bei der Ansiedlung von gewerblichen Handelsbetrieben, die daran scheiterte oder fast scheiterte, dass der gewählte Standort 500 Meter von der Stadtgrenze des bis zur Ansiedlung berechtigten Mittelzentrums entfernt war. Auch der Versuch, durch eine Gemeindetypisierung den kommunalen Körperschaften den Umfang von noch ausweisbaren Baugrundstücken vorzuschreiben, ist noch in Erinnerung.
Letztlich werden also dirigistischer Einfluss und der Versuch einer zu starken Einschränkung, wenn nicht Gängelung, beklagt.
Ob und in welchem Umfang am Zentrale-Orte-Konzept bei der Fortschreibung des Landesentwicklungsprogramms überhaupt noch festgehalten werden muss, erscheint fraglich. Ein System von zentralen Orten hat sich entwickelt, z.T. gefördert durch Landes- und Regionalplanung, z.T. bgleitet, z.T. aber auch gegen sie. Die wirtschaftliche Entwicklung und die kommunalen Entscheidungen haben nicht immer Rücksicht darauf genommen, was man vorher durch Planung vorgegeben hatte.
Außerdem stellt sich heute die Grundfrage, was Landes- und Regionalplanung überhaupt in der jetzigen Situation über die Beschreibung des Zustandes hinaus noch bewirken kann und inwieweit sich aus der demographischen Entwicklung und aus der Veränderung von Informations- und Kommunikationsstrukturen Gestaltungsmöglichkeiten oder –notwendigkeiten der Landesplanung und Regionalplanung ergeben.
So könnte man der Auffassung sein, dass sich die Landes- und Regionalplanung zukünftig auf die Rahmenvorgaben für öffentliche Einrichtungen, und zwar nur für die ganz großen öffentlichen Einrichtungen, die überörtlichen Straßentrassen, Eisenbahntrassen und andere Verkehrswege, Standorte großer öffentlicher oder quasi öffentlicher Einrichtungen, überörtliche Datenleitungsstrukturen, Datenleitungsknotenpunkte, Netzstrukturen und dergleichen beschränken sollte.
Außerdem wird heute geltend gemacht, Landes- und Regionalplanung müsste wesentlich mehr auf Wettbewerbsneutralität, und zwar Wettbewerbsneutralität zwischen den kommunalen Körperschaften achten. Als These könnte man insoweit davon ausgehen, dass Vorgaben für die gemeindliche Entwicklung, d.h. für die Zahl und den Umfang von Neubaugebieten, die Zahl der Bauplätze, den Umfang von Gewerbegebieten, die Ansiedlung von großen Handelsbetrieben usw., nicht mehr erforderlich bzw. abzulehnen sind. Gerade auf diesem Gebiet stehen Kommunen im Wettbewerb untereinander, der nicht durch Landes- oder Regionalplanung beeinträchtigt oder verfälscht werden sollte.
In Bezug auf die Standortwahl von Industrie- und Gewerbebetrieben, insbesondere die Standortwahl von großen Einzelhandelsmärkten, kann man sich sicherlich trefflich fragen, ob eine Abhängigkeit oder auch nur eine Berücksichtigung der Vorgaben von Landes- und Regionalplanung für Entscheidungen über einen Standort eine Rolle spielen. Sind es nicht vielmehr die wirtschaftlichen Entscheidungen des jeweiligen Betreibers, der nach Käuferströmen, Kaufkraft, Verkehrsanbindung, Parkplatzraum usw. sucht, aber nicht landesplanerische und regionalplanerische Vorgaben. Als zweite These könnte man deshalb vertreten, dass die staatliche Wirtschaftsförderung den Entscheidungen der Wirtschaft folgen und damit insbesondere Standortentscheidungen für alle Gemeinden öffnen und nicht steuernd auf bestimmte Standorte einwirken sollte.
Insoweit ist auch trefflich zu hinterfragen, ob die Landes- und Regionalplanung noch einen Schutz des Einzelhandels in den Innenstädten gegenüber den Einzelhandelsmärkten am Stadt- oder Ortsrand ausüben kann (oder soll). Betrachtet man sich etwa die Vielzahl von Einzelhandelsgroßmärkten am Stadtrand, aber im Stadtgebiet von Mainz, kann man sich fragen, warum einzelne oder mehrere dieser Einzelhandelsgroßmärkte nicht ihren Standort in Umlandgemeinden haben und haben konnten. Hätte ein solcher Standort bessere oder schlechtere oder überhaupt nur andere Auswirkungen auf den Einzelhandel in der Stadt gehabt?
Die Landespolitik hat sich auch der These angenommen, dass die Bevölkerungsentwicklung und die zurückgehenden Bevölkerungszahlen entscheidende Auswirkungen auf Landes- und Regionalplanung haben und haben werden. Bevor hier aus dem guten Willen die nächsten Vorgaben – und damit Beschränkungen – für den kommunalen Bereich entstehen, muss man diesen Zusammenhang zwischen Bevölkerungsentwicklung und Landes- und Regionalplanung sicherlich intensiv hinterfragen.
Bei einer dauerhaften, nachhaltigen Reduzierung von Bevölkerungszahlen verringert sich der Umfang der Bautätigkeit für den Wohnungsbau, schon in wesentlich geringerem Umfang für Gewerbe und Industrie. Die Notwendigkeit öffentlicher Einrichtungen, ihre Standorte, die nötigen Verkehrsanbindungen und andere infrastukturelle Maßnahmen sind davon also überhaupt nicht berührt.
Kindergärten, Schulen, Abwasseranlagen, Wasserversorgung, Gemeindestraßen, kulturelle Angebote, Sportplätze und –hallen und vieles andere mehr, was unsere öffentliche Infrastruktur kennzeichnet, werden bei geringerer Bevölkerungszahl nicht überflüssig, sondern höchstens in kleineren Dimensionen erforderlich sein. Das kann auch bei Einrichtungen, die von Besucherzahlen abhängig sind, sogar Standorte in Frage stellen, wie etwa im Schulbereich. Nur: Das macht es notwendig, über langfristige Entwicklungen bei den Klassenstärken, die mögliche Lehrerausstattung und dergleichen nachzudenken, aber landesplanerische Entscheidungen und Vorgaben sind das alles nicht.
Und schließlich wären auch noch die Entscheidungsstrukturen der Regionalplanung anzusprechen. Grundsätzlich bedarf es einer zusätzlichen Verstärkung der gemeindlichen und städtischen Einflussmöglichkeiten.
Interessanterweise spielen auch politische Strukturen (z.B. Wahlkreiseinteilungen) und auch Strukturen der Informationsaufnahme und –weitergabe (Zeitungen mit unterschiedlichen Regionalteilen) eine wesentliche Rolle für das Verständnis untereinander und die Grundlage gemeinsamen Handelns. Vielleicht sollten Landes- und Regionalplanung viel mehr den Blick auch auf solche Gesichtspunkte („die Einheit des Raums“) legen.
GStB-Kommentar aus Gemeinde und Stadt 03/2003
Reimer Steenbock
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Gemeinde- und Städtebundes