Auf der Grundlage eines Gutachtens von Prof. Schoch diskutierte die Kommission intensiv und umfassend das Für und Wider. Allerdings nur für die Zukunft und nicht für die Vergangenheit.
Einmal mehr kam dabei zum Ausdruck, dass unsere öffentlichen Haushalte, besonders auch die kommunalen Haushalte, von einer tiefen Strukturkrise erfasst sind. Nach langen Jahrzehnten des Aufbaus nach dem zweiten Weltkrieg, gelegentlicher wirtschaftlicher Rezessionen, immer wieder schnell überwunden, der ständigen Ausweitung und des Ausbaus unseres Sozialund Infrastruktursystems, des Prinzips nichts ist uns unmöglich, müssen wir heute erkennen, dass es nicht mehr so weitergeht wie bisher und wir uns übernommen haben.
Die Systeme sind oder werden zunehmend unbezahlbar, die Strukturen sind überholt oder überholungsbedürftig, Einschnitte sind erforderlich, grundsätzliche Veränderungen angezeigt. Die zukünftige Bevölkerungsentwicklung tut ein Übriges dazu, die Schwierigkeiten zukünftig noch zu verstärken und zu verschärfen. Die Politik auf Bundes- und Landesebene reagiert in unterschiedlicher Weise.
- Teilweise wird das Heil in Kommissionen gesucht (Kommissionstheorie).
- Teilweise reagiert Politik über Nacht mit plötzlichen Kursänderungen oder Entscheidungen (Überraschungstheorie).
- Teilweise passiert schlicht nichts, Entscheidungen werden verlagert, hinausgeschoben, halbherzig getroffen (Aussitztheorie).
Ein Beispiel für die Kommissionstheorie ist die Behandlung des Konnexitätsprinzips in der Enquete-Kommission selbst. Im Prinzip weiß jeder, dass das Konnexitätsprinzip notwendiger, ja unabdingbarer Bestandteil einer nachhaltigen, die kommunalen Finanzen dauerhaft sichernden Finanzpolitik ist. Bundes- und Landespolitik können nicht mehr ohne vorherige Sicherstellung der Finanzierung immer neue Leistungen für die Bürger erfinden oder zusagen.
Trotzdem bedurfte es noch einmal einer Bestätigung durch eine Kommission, dass es auch unserer Landespolitik einschließlich unserem Landesparlament vielleicht ganz gut tun würde, bei aller auch zukünftigen Freiheit des Gesetzgebers sich dem Risiko eines Verfassungsprozesses auszusetzen. Nach der Diskussion in der Enquete-Kommission, in der mit bemerkenswerter Klarheit Scheinhinderungsgründe von realen Hindernissen geschieden wurden, fehlt außer dem politischen Willen der Führungsspitze unserer Regierungskoalition nichts mehr. Jetzt ist wieder die Landespolitik dran und muss sich entscheiden. Hoffentlich schneller als beim Standardabbau.
Wenn es eines Beweises dafür bedurfte, dass wir nicht nur unter wahrscheinlich der schwersten und nachhaltigsten Finanzkrise seit Bestehen der Bundesrepublik leiden, sondern dass Ausgangspunkt und wesentlicher Teil der Finanzkrise eine Strukturkrise ist, dann war und ist das beispielsweise die Forstorganisationsreform. Wenn jemand vor einem Jahr von außen gefordert hätte, die Zahl der Forstämter zu halbieren und in der Organisation das Unterste zu Oberst zu kehren, er wäre des Unverstandes, der völligen Verkennung der Realitäten, der Nichterkennung der Leistungsfähigkeit der Organisation, der Nestbeschmutzung beschuldigt worden. Radikaler Reformbedarf war nicht anerkannt. Heute, ein Jahr später, ist alles anders.
Die Politik hat die Zeichen der Zeit und an der Wand erkannt - gut so, kann man sagen - und plötzlich und unerwartet reagiert (Überraschungstheorie). Und dass Strukturen verändert werden mussten, zeigt die Reaktion der Betroffenen und des Restes der Welt: Eigentlich waren alle der Meinung, es ginge nicht so weiter und es müsste etwas geschehen. Und endlich ist es geschehen - besser spät als nie.
Bleibt noch die Aussitztheorie. Und damit sind wir beim Standardabbau. Es tut sich schlicht nichts. Auch der angeblich bestehende 16- oder 17-Punkte-Katalog, der seit geraumer Zeit existieren soll, lässt noch auf sich warten. Stattdessen formieren sich die Ministerien als Standardwahrer und -bewahrer. Ein umfangreicher Brief des Innenministeriums, vom Minister persönlich unterschrieben, an einen unserer Kollegen Bürgermeister wegen Standardabbau im Feuerwehrwesen endet mit dem Hinweis auf mögliche Haftungs- und strafrechtliche Konsequenzen (natürlich für den den Standard hinterfragenden Bürgermeister), wenn man Prüfungen nicht alle 6 Monate, sondern nur alle 12 bis 16 Monate vornimmt.
Und dann folgt noch der Kernsatz: „Die Rettung von Menschenleben hat – wie im Bereich des Brandschutzes – oberste Priorität und darf nicht zur Kostensenkung oder Sanierung von Gemeindehaushalten auf's Spiel gesetzt werden." Wenn diese Form von Totschlagargument auf alle anderen Bereiche übertragen wird, und es ist anzunehmen, dass jeder Standardgeber vergleichbare Argumente verwendet - nicht wieder gutzumachender Schaden für den jeweiligen Betroffenenkreis -, können wir jeglichen Standardabbau vergessen. Dann werden demnächst ein paar Genehmigungs- und Zustimmungsvorbehalte zu Anzeigevorbehalten umgebaut und das war's dann wieder mal.
Die Ankündigung des Ministerpräsidenten in den Haushaltsberatungen im Frühjahr 2002, die Landesregierung werde demnächst ein Standardöffnungsgesetz vorlegen, liegt 13 Monate zurück. Wir sind immer noch in freudiger Erwartung.
GStB-Kommentar aus Gemeinde und Stadt 04/2003
Reimer Steenbock
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Gemeinde- und Städtebundes