In guter Hoffnung


Wie bei der „Sicherung der Leistungsfähigkeit der kommunalen Haushalte", über die unser Vorsitzender in diesem Heft berichtet, fängt alles schon beim Begriff an. Und ein klingender Begriff ist schnell gefunden. „Gemeindefinanzreform" ruft positive Assoziationen hervor.

  • Sie ist eine langjährige Forderung der Gemeinden und Städte gegenüber Bund und Ländern.
  • Das letzte Mal, als es eine gab, wurde ein Teil der Gewerbesteuer durch den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer ersetzt - und das hat jeder Kommunalpolitiker und Verwaltungsmann in guter Erinnerung.
  • Und schließlich: Von einer „Reform" wird man die Grundsätzlichkeit und Ernsthaftigkeit einer Systemveränderung erwarten können.

Inzwischen werden Strukturen und Diskussionsergebnisse mehr und mehr sichtbar. Vorschläge und Entwicklungen schälen sich heraus. Und dazu ein paar Sachen zur Erinnerung:

  • Für die Gemeindefinanzreform gibt es auf der Bundesebene zwei Kommissionen. Eine unter Vorsitz des Bundesfinanzministers und eine unter dem Vorsitz des für Arbeit zuständigen Ministers. Da kann man sich fragen, wieso Bundesarbeitsminister? Was hat der eigentlich mit der Gemeindefinanzreform zu tun? Ganz einfach: Falsches Etikett. Ausgangspunkt und Sinn der Gemeindefinanzreform war von Anfang an - und ist unverändert - in erster Linie oder gleichrangig eine Zusammenführung oder Koordination von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe. Da das Auswirkungen auf die Gemeindefinanzen hat (und die kommunalen Gebietskörperschaften in der Vergangenheit besonders über exorbitant gestiegene Sozialhilfelasten geklagt haben), wurde halt eine Gemeindefinanzreform daraus.
  • Bei den Beratungen in den Kommissionen für die Gemeindefinanzreform wurde vom Bundesfinanzminister und den Vertretern der Länderfinanzministerien (darunter der Staatssekretär aus unserem Finanzministerium) von Anfang an deutlich gemacht, dass Sinn der Gemeindefinanzreform nicht sei und sein könne, dass zwischen Bund und Ländern und Kommunen Finanzmassen hin und her geschoben werden. Aufkommensmäßig, also in der Gesamtsumme, bleibt alles beim Alten - soll so bleiben. Also ganz einfach: Falsch gelesenes oder verstandenes Etikett. „Aufkommensneutrale Gemeindefinanzreform" ist gemeint. Alles andere sei doch - so Bund und Länder - ohnehin nicht finanzierbar.
  • Ja, und worüber reden dann die Mitglieder der beiden Kommissionen zur Gemeindefinanzreform, so kann man sich fragen? Die Kommission unter Leitung des Bundesfinanzministers redet über strukturelle Verbesserungen der Gewerbesteuer. Heutiges Modell oder Industriemodell oder Wertzuwachssteuer oder lokale Bürger- und Wirtschaftssteuer oder, oder, oder? Aber über mehr Geld? Nein, darüber redet eigentlich keiner. Und wenn die Forderungen nach mehr Geld für die Gemeinden und Städte größer und größer werden, dann holt man die Diskussion über Hebesätze auf den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer oder neue Einheitswerte für die Grundsteuer aus der Kiste, befreit sie vom Staub und hält sie den kommunalen Vertretern als Wurst und als Zuwachsmöglichkeiten zu den Finanzen vor die Nase - am besten noch mit eigener, von der Kommunalverwaltung selbst durchgeführter Einheitsbewertung oder -veranlagung.
  • Jüngst wurde im Bundestag - schon in den Ausschüssen - eine Änderung der Organschaftsregelungen der Gewerbesteuer - zumindest die Reduzierung auf ein normales, erträgliches Maß - von der Regierungskoalition abgelehnt. Ursache waren die Kämmerer großer Industriestandorte - dazu gehört auch die Stadt Ludwigshafen in Rheinland-Pfalz-, die sich für den Erhalt der bisherigen (ausufernden) Organschaftsregelungen ausgesprochen haben. Warum? Weil es zum Beispiel in der chemischen Industrie noch Tochterfirmen gibt, die Gewinne erzielen und - zumindest in Ludwigshafen - die Stadt eine Vereinbarung mit der BASF getroffen hat, dass die Gewinne der Töchter in Ludwigshafen verrechnet und versteuert werden. Als Gegenleistung hat die Stadt einen geringeren Gewerbesteuerhebesatz fesgesetzt. Wie sich das für alle Städte und Gemeinden in Rheinland-Pfalz - besonders diejenigen, die unter der Verlustverrechnung zu leiden haben - auswirkt, wurde leider nicht untersucht und ist nicht bekannt. Aber da der Finanzausschuss des Bundestages sich nun einmal mit der Frage beschäftigt hat, hat man die Änderung der Organschaftsregelungen in die Gemeindefinanzreform verlagert.
  • Im Übrigen kann man natürlich auch darüber philosophieren, was denn wohl „aufkommensneutral" heißen soll. Stand 1990, 1995, 1998 oder 2003? Gegenüber 1992 ist die Gewerbesteuer um 43% abgesunken. Aus kommunaler Sicht muss jede Lösung die Gewerbesteuer auf die alte Höhe zurückführen. Aber glaubt das noch jemand?
  • Und die zweite Kommission unter Leitung des Bundesarbeitsministers? Sie beschäftigt sich mit Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe. Dabei ist der ursprüngliche Vorschlag, die Kommunen mit ihrem Sachverstand und ihren Kenntnissen von den Personen und Sachverhältnissen vor Ort umfassend zuständig zu machen, längst vom Tisch. Die Arbeitsvermittlung durch die Arbeitsämter feiert fröhliche Urständ. Was sollen wir denn sonst auch mit den Einrichtungen und Leuten machen? Mit der unmittelbaren Bundesfinanzierung gibt es weiterhin keine materiellen Interessen und Anreize an der nachhaltigen Reduzierung von Hilfe und Leistungen zur Entlastung öffentlicher Haushalte. Außerdem geht die Unmittelbarkeit der örtlichen Lösung verloren. Und welche Erfolge kommunale Arbeitsvermittlungsorganisationen besonders im Sozialhilfebereich hatten und haben, ist bei den meisten Kommunalinitiativen ja wohl unbestritten.

Wenn man sich dann noch vor Augen hält, dass es zukünftig wahrscheinlich eine Schichtung in

  • Personen mit Grundsicherungsanspruch (insbesondere wegen Alter oder Erwerbsunfähigkeit, Zuständigkeit Kommunen, Finanzierung ebenfalls Kommunen),
  • vermittlungsunfähige Personen (= Sozialhilfe, Zuständigkeit Kommunen,
    Finanzierung ebenfalls Kommunen) und
  • vermittlungsfähige Personen (= Arbeitslosengeld neuer Art, Zuständigkeit
    Arbeitsämter, Finanzierung über Beiträge bzw. Bundeshaushalt)

geben wird, wird deutlich: Die Auseinandersetzungen werden nicht – wie ursprünglich vermutet – an der Grenze zwischen Grundsicherung und Sozialhilfe stattfinden (Motto: Weniger Sozialhilfe durch mehr Grundsicherung), denn der Zahler ist derselbe: der kommunale Bereich. Die Auseinandersetzung wird stattdessen um die Frage der Vermittlungsfähigkeit stattfinden. Jede Person, die nicht vermittlungsfähig ist, würde dann in die Sozialhilfe fallen, die Arbeitslosenstatistik und den Bundeshaushalt entlasten und die Sozialhilfestatistik und die Kommunalhaushalte belasten. Ob da die Bundespolitik widerstehen könnte?

Und das alles soll geben: „Eine Gemeindefinanzreform".


GStB-Kommentar aus Gemeinde und Stadt 02/2003

Reimer Steenbock
Geschäftsführendes  Vorstandsmitglied des Gemeinde- und Städtebundes