Wir werden zusätzliche Plätze in Kitas und Schulen, Sprach- und Integrationskurse, Berufsorientierung und Hilfsstrukturen zur Betreuung der traumatisierten Kinder benötigen. Das geht nicht mit gutem Willen allein. Notwendig ist Kostenübernahme für diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe durch Bund und Länder. Als ersten wichtigen Schritt hat das Land nun signalisiert, den rheinland-pfälzischen Kommunen 20 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, die aber auch vor Ort in den kreisangehörigen Kommunen ankommen müssen. Zudem muss die Möglichkeit geschaffen werden, vor Ort Standards, zum Beispiel bei der Gruppenstärke in den Kitas, bei den Klassengrößen in der Schule auszusetzen. Seit über fünf Jahren sind die Kommunen im Dauer-Krisenmodus. Die Flüchtlingskrise 2015 hat immer noch ihre Auswirkungen.
Ein Großteil der Geflüchteten lebt in unseren Gemeinden und Städten, und zusätzlicher Wohnraum wird dringend benötigt.
Gleichzeitig befinden wir uns nunmehr im dritten Corona-Jahr. Gerade die Pandemie hat den Gemeinden und Städten, den Verwaltungen, aber auch den ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern viel abverlangt. Ständig wechselnde Regelungen mussten kommuniziert, umgesetzt und kontrolliert werden. Impfaktionen in den Gemeinden wurden mit organisiert, Teststellen wurden eingerichtet .
Im Sommer 2021 hat die Flutwelle im Ahrtal und in der Eifel über Nacht Existenzen, Orte und Infrastruktur und leider auch Menschenleben vernichtet. Der Wiederaufbau wird noch Jahre dauern. Die jahrzehntelange strukturelle Unterfinanzierung durch das Land hat die Kommunen mittlerweile kaputt gespart. Über 40 Prozent sind verschuldet, oftmals finanziell am Ende. Die Folge: Wir schieben einen riesigen Investitionsstau vor uns her. Die Infrastruktur wie Straßen, Brücken Kitas, Schulen werden zwangsläufig auf Verschleiß gefahren. Wir laufen Gefahr, dass mit der Ukraine-Krise die Resilienz des Systems nun kurz vor dem Kollaps steht. Finanzreserven gibt es nicht. Gute Politik muss nicht nur eine bessere Krisenvorsorge ermöglichen.
Die Kommunen müssen auch in die Lage versetzt werden, die wichtigen Mammutprojekte unseres Jahrhunderts anzugehen: Klimaschutz und Klimaanapassung vorantreiben und die fortschreitende Digitalisierung unserer Gesellschaft in den
Verwaltungen und in den Gemeinden umsetzen und gestalten. Hier stehen uns ganze Systemwechsel bevor. Der Krieg und seine Folgen werden auch die Kommunen in Rheinland-Pfalz wirtschaftlich hart treffen. Die Energiepreise steigen dramatisch, die Inflation nimmt zu, die Lieferketten werden zusätzlich gestört, die Gasversorgung ist gefährdet, der Export wird geschwächt. Das kann zu einem massiven Wirtschaftseinbruch mit steigender Arbeitslosigkeit, sinkenden Steuereinnahmen und zunehmender Angst in der Bevölkerung führen.
Es wird viel Kraft und ein großer gesellschaftlicher Zusammenhalt gebraucht, um das alles zu bewältigen. Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger auf härtere Zeiten vorbereiten. Vieles, was gestern selbstverständlich war, wird morgen vielleicht nicht mehr gelten können. Gleichzeitig haben wir die Chance, den Zusammenhalt nicht nur in Europa, sondern auch vor Ort mit neuem Leben zu füllen. Wir lernen in diesen schweren Zeiten, welchen hohen Wert Freiheit und Frieden haben. Das kann am Ende ein Gewinn dieser Krise sein.
GStB-Kommentar aus Gemeinde und Stadt 3/2022
Dr. Karl-Heinz Frieden
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Gemeinde- und Städtebundes