Das Wahlergebnis hat so mancherorts für Überraschung gesorgt. Nicht nur, weil vielleicht die favorisierte Partei nicht den gewünschten Stimmenanteil erreicht hat, sondern vor allem, wenn man am nächsten Morgen die Zeitung mit den regionalisierten Ergebnissen aufgeschlagen hat. Gerade in ländlichen Gebieten lag die AfD in einigen Gemeinden bei 20 Prozent. Was auf den ersten Blick nach einem Rechtsruck in Rheinland-Pfalz aussieht, ist tatsächlich den formellen Vorgaben des Bundeswahlrechts geschuldet. Diese verhindern, dass die wirklichen Resultate einer jeden Ortsgemeinde „gemeindescharf“ errechnet und auch abgebildet werden können. Denn bei den regionalisierten Ergebnissen zählen nur die Stimmen, die vor Ort in der Urne landen, nicht jedoch die Stimmen der Briefwählerinnen und Briefwähler. Bevorzugt eine Wählergruppe die Wahl im Wahllokal und die andere die Briefwahl, steht faktisch nur das Ergebnis der Urnenwahl in der Zeitung. Verstärkt wird dieser Verzerrungseffekt noch durch die sogenannte 50er-Regelung der Bundeswahlordnung, wonach in den Fällen, in denen weniger als 50 Wählerinnen oder Wähler ihre Stimme beim Urnenwahlgang abgegeben haben, die Wahlurne auf Anordnung des Kreiswahlleiters in einen anderen Wahlbezirk (Nachbarort) zur gemeinsamen Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses zu bringen ist. Die Regelungen sollen dem besseren Schutz des Wahlgeheimnisses dienen, sind aber für ein kleinteilig strukturiertes Land, wie Rheinland-Pfalz mit seinen Ortgemeinden mit niedrigen Einwohnerzahlen, nicht geeignet.
Belief sich in Rheinland-Pfalz der Anteil der Briefwählerinnen und Briefwähler bei der Landtagswahl auf rund 66 Prozent, gab es bei der Bundestagswahl am 26. September 2021 das Rekordergebnis von 60,9 Prozent bzw. 1.434.524 Wählerinnen und Wähler, die ihre Stimme per Brief abgegeben haben. Fest steht: Unabhängig von der Entwicklung der Corona-Pandemie – der Trend zur Briefwahl wird bleiben. Und da davon auszugehen ist, dass auch unsere Ortsgemeinden an Ort und Stelle bleiben, steht bereits heute fest, dass wir bei der nächsten Bundestagswahl wieder mit der gleichen Situation konfrontiert sein werden.
Auch die Option nach der Bundeswahlordnung, Wahlbezirke im Vorfeld zusammenzulegen, ist wenig hilfreich. Nicht die Bürgerinnen und Bürger sollen und wollen in andere Gemeinden zur Wahl laufen, sondern die Wahl muss zu den Menschen kommen.
Warum also nicht das Wahlergebnis der Briefwahl in die Urnenwahl einbeziehen? Was bei der Kommunalwahl und der Landtagswahl möglich ist, sollte auch bei der Bundestagswahl ein gangbarer Weg sein.
GStB-Kommentar aus Gemeinde und Stadt 10/2021
Dr. Karl-Heinz Frieden
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Gemeinde- und Städtebundes