Mobilität der Zukunft organisieren anstatt Stillstand in den Kommunen


Erst wurden verharmlosend die „getunten“ Abgaswerte und somit der Betrug als „Schummelei“ beschönigt. Dann wurde sich um notwendige Nachbesserungen, Entschädigungen der Käufer gedrückt. Geschädigte sind die Autofahrer und Kommunen. Man kann nur hoffen, dass sich den Sammelklagen möglichst viele Geschädigte angeschlossen haben und diese durchgesetzt werden können. Das Land Rheinland-Pfalz hat sich als eine der Geschädigten nunmehr dazu entschlossen, Klage gegen einen Automobilhersteller einzureichen, von dem es Wagen bezogen hatte. 

Endlose, leider erfolglose Diskussionen um notwendige Nachbesserungen sowie Entschädigungen der Käufer haben bislang nur dazu geführt, dass Städte wie Mainz sich gezwungen sehen, Dieselfahrverbote in ihren Luftreinhalteplänen mit aufzunehmen.

Dieselfahrverbote sind nicht nur für die Menschen in den betroffenen Städten, sondern auch für Pendler ein verheerendes Signal. Rheinland-Pfalz ist Pendlerland. Fast 74 % der rund 1,5 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten pendeln über ihre Gemeindegrenze hin zur Arbeit. Viele Menschen entscheiden sich bewusst für ein Leben außerhalb der Städte und nehmen längere Wege zur Arbeit in Kauf, da im ländlichen Raum nicht nur günstigerer Wohnraum vorhanden ist, sondern viele auch die örtliche Gemeinschaft als Form des Zusammenlebens vorziehen und nicht mit jedem Jobwechsel umziehen möchten.

Es ist eine Illusion zu glauben, dass Fahrverbote, die ja nach der Rechtsprechung des BVerwG immer nur bestimmte Straßen oder Abschnitte betreffen, das Problem lösen. Der Verkehr verlagert sich dann auf die umliegenden Straßen und führt dort zu Schadstoffbelastungen. Erfahrungen aus Hamburg zeigen, dass Fahrverbote in der Praxis wenig Wirkung entfalten. In der aufgeregten Diskussion und den immer neuen Klagen der Deutschen Umwelthilfe wird leider kaum beachtet, dass die Städte es in den letzten Jahren auch mit Hilfe des Bundes geschafft haben, dass die Schadstoffbelastungen nicht steigen, sondern sinken – und dies, obwohl das Verkehrsaufkommen steigt.

Am effektivsten bleibt die Bekämpfung der Ursache an der Quelle. Die Autohersteller müssen endlich auch einen Masterplan zur Hardwarenachrüstung vorlegen und Nachrüstungen müssen auch für alle Pendler möglich sein! Erforderlich sind Fahrzeuge, die über Abgase, Reifen und Bremsanlagen so wenig Schadstoffe wie möglich ausstoßen. Da die Ursache für Luftverschmutzung nicht immer auf den örtlichen Pkw-Verkehr, sondern häufig auch auf externe Faktoren wie eine naheliegende Autobahn, Industrie, Landwirtschaft oder Schifffahrt zurückzuführen ist, werden diese Belastungen der Luft auch bei Umweltzonen, temporären Fahrverboten und ähnlichen Maßnahmen fortbestehen.

Wir müssen uns darauf konzentrieren, nicht den Stillstand durch Fahrverbote, sondern die Verkehrswende mit immissionsarmer Mobilität zu organisieren. Für Pendler ist das Auto oft unverzichtbar für die Berufsausübung, da öffentliche Verkehrsmittel häufig gar nicht oder jedenfalls nicht zu den benötigten Zeiten zur Verfügung stehen. Soll es nun das Elektroauto als Alternative richten? Allein wohl kaum. Egal, ob Elektroantrieb oder Diesel, wenn wir zu viele Verkehrsströme haben, werden die Menschen dann mit Elektroautos im Stau stehen und der Umwelt ist nur bedingt geholfen.  Erforderlich sind Multimobilitätskonzepte, u. a. mit besserer Vernetzung der verschiedenen Verkehrsmittel und sicheren Abstellmöglichkeiten für Fahrrad und Pkw an den Umsteigepunkten.

Wenn wir die Chancen der Digitalisierung weiter nutzen, können so auch Verkehrsströme reduziert werden. Arbeitgeber sind gefragt, flexible Arbeitsmodelle zu ermöglichen und verstärkt auf Telearbeit zu setzen. Hier können Gemeinden und Städte durch die Förderung von sogenannten Co-Working-Places einen Beitrag leisten, bei denen es möglich ist, dass der Arbeitgeber bei Bedarf zeitweise einen Online-Arbeitsplatz mit entsprechend schnellem Internetanschluss anmietet, sodass der Angestellte nicht jeden Tag 50 Kilometer und mehr pendeln muss, und so Zeit spart und Stress reduziert. Dies ist auch Chance, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser zu gestalten und Einzelhandel, Restaurants und Nahversorgung in der Gemeinde, in der sich das Co-Working-Center befindet, zu stärken. Das setzt eine ausreichende Breitbandanbindung voraus. 

Der Prozess lässt sich nicht durch Umlegen eines Hebels erledigen. Es handelt sich um ein langfristiges Projekt, was nur funktioniert, wenn sich die Politik dauerhaft und nachhaltig zur Entwicklung ländlicher Räume bekennt und darin zugleich auch die wichtige Chance sieht, dass das Leben sowohl in den Ballungsräumen als auch in den ländlichen Räumen lebenswerter, bezahlbar und umweltgerechter wird.  Ein solcher Umbau des Landes wäre auch eine große Chance für die Mittelzentren und kleineren Orte in Rheinland-Pfalz.

Auch der demografische Wandel mit immer mehr älteren Menschen spricht für einen solchen Umlenkungsprozess. Im vorgerückten Alter bleiben die Menschen insbesondere dann gesund und aktiv, wenn sie die notwendigen Einrichtungen der kommunalen Daseinsvorsorge vom Arzt über den ÖPNV bis zu Einkaufsmöglichkeiten und kulturelle Teilhabemöglichkeiten in ihrem direkten Umfeld nutzen können. Die Vorstellung „Jung und aktiv in der Stadt, alt und allein auf dem Dorf“ ist falsch.

Projekte wie „Jung kauft alt“ und „Mehr Mitte bitte“ müssen deshalb weiter verstärkt gefördert werden. Sie bieten eine Chance für junge Familien, die sich die überhitzten Preise in den Ballungsräumen nur schwer leisten können, und sorgen dafür, dass in die Dörfer wieder neues Leben kommen kann.


GStB-Kommentar aus Gemeinde und Stadt 01/2019

Dr. Karl-Heinz Frieden
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Gemeinde- und Städtebundes